Medienzeit für Kinder: Wie lernen Kinder den richtigen Umgang mit Handy, Tablet und Computer?
Ein Gastbeitrag von Smartphone Coach Andrea Buhl-Aigner.
Die richtige Medienzeit – eine Herausforderung für Eltern
Videos am Tablet gucken, Handyspielen, mit Freundinnen chatten, dazu eine Smartwatch am Handgelenk, zwischendurch Konsole zocken … Mit der Anzahl der Bildschirme im Kinderzimmer steigen die Herausforderungen für Eltern.
Und die Fragen, die wir uns stellen: Ab welchem Alter? Welche Spiele sind OK? Welche Inhalte sieht mein Kind? Wie viel Medienzeit in welchem Alter? In diesem Beitrag findest du praktische Tipps für den Umgang mit smarten Geräten und wie du dein Kind in der digitalen Welt begleiten kannst.
»Jetzt leg doch mal das Handy weg!«
»Nur noch 5 Minuten!! Nur noch dieses eine Level, ich bin gleich am Ziel!«
»Ich brauch das aber für meine Hausaufgaben.«
Kommt dir bekannt vor? Wie sind wir eigentlich in dieser Situation gelandet? Es fühlt sich an, als hätten wir uns einmal kurz umgedreht, und plötzlich ist die ganze Welt voller kleiner, smarter, blinkender, piepsender, vibrierender Bildschirme.
Wie kommen wir da wieder raus?
Gar nicht. Mobile, smarte Geräte sind gekommen, um zu bleiben. Digitale Medien sind ein fester Bestandteil unseres Lebens.
Die Frage ist nicht mehr, OB Kinder sie verwenden. Sie werden. Die Frage ist, ab wann, und unter welchen Voraussetzungen.
Übersicht: Wie viel Medienzeit in welchem Alter?
Bei Babys und Kleinkindern unter 3 Jahren ist die Antwort kurz und einfach: Keine. »Bildschirmfrei bis Drei« forderte heuer der Deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte anlässlich des Safer Internet Days 2023. Ein Kinderzimmer ohne Smartphone, Tablet und Fernseher für Kleinkinder unter 3 Jahren.
Schon ab einer Bildschirmzeit von über 30 Minuten pro Tag, steigt bei Kindern zwischen 6 Monaten und 2 Jahren das Risiko für eine verzögerte Sprachentwicklung.*
Von deutschen Kinder- und Jugendärzten und der Schweizer Jugendberatung wird empfohlen:
- Keine Bildschirmzeit für Kinder unter 3 Jahren
- Maximal 30 Minuten für 3-6-Jährige (begleitet durch Erwachsene)
- Maximal 5 Stunden pro Woche für 6-9-Jährige
- Maximal 7 Stunden pro Woche für 9-12-Järhige (1 Stunde pro Tag)
Bildschirm an, Kommunikation aus: Der Einfluss der Medienzeit
»Bildschirmfrei bis Drei«
Diese Grundregel empfehle ich euch übrigens auch, wenn ihr euch mit eurem Baby oder Kleinkind im gleichen Raum aufhaltet. Alle verbalen und non-verbalen Reize, also Sprechen, Hantieren, Zeigen oder auf das Kind mit Blickkontakt und Mimik reagieren, werden verringert, sobald Eltern ein Smartphone oder Tablet vor dem Kind verwenden.
Die Kommunikation wird dadurch unterbrochen. Blicken wir auf einen Bildschirm, friert das Gesicht buchstäblich ein. Ein starres, abgewandtes Gesicht stört die Bindung zum Kind und kann bei Babys großen Stress auslösen. Besonders Babys und kleine Kinder brauchen deine Zuwendung ganz dringend.
»Wie ein kleiner Entzug«
So fühlt es sich für meine Bekannte Cathy an. Sie ist Tagesmutter in Wien und betreut Kinder zwischen 1 und 5 Jahren. Es passiere schon häufig, dass Eltern 2- oder 3-Jährige in der Früh mit dem Handy in der Hand vorbeibringen.
Wenn den Kindern das Gerät dann abgenommen wird, gibt es großes Geschrei.
Die Gewöhnungseffekte sind nicht zu unterschätzen. Smartphones, Online-Spiele und Apps enthalten viele kleine Mechanismen, die uns dazu bringen, länger dranzubleiben. Junge Gehirne können das nicht regulieren. Sie können nicht anders, als immer weiter zu schauen.
Bildschirme als Babysitter und Ruhestifter
»Wir wollen uns jetzt mal in Ruhe unterhalten. Ihr könnt euch am Tablet ein paar Videos ansehen.«
Sehr verlockend. Ich habe manchmal den Eindruck, Smartphones und Tablets sind ein geheimer Lautstärke-Regler. Sie sorgen sofort für Ruhe. ENDLICH. Wie angenehm!
Ab und zu mal gemeinsam eine Serie gucken, oder die Kinder gemeinsam hinterm Tablet verschwinden lassen, da spricht wirklich nichts dagegen.
Als regelmäßige Maßnahme zur Beruhigung sollte das Tablet aber nicht verwendet werden: Kinder, die häufig mit dem Smartphone oder Tablet beruhigt werden, lernen nicht so gut mit ihren Emotionen umzugehen. Das betrifft besonders sehr aktive und impulsive Kinder, und Jungs etwas mehr als Mädchen.**
Bild von Oleksandr Pidvalnyi
Einfache Regel für Medienzeit: Die 3-6-9-12-Regel
Für die Frage, welches Gerät in welchem Alter empfehlenswert ist, kannst du dich an der »3-6-9-12-Regel« orientieren: Diese Regel stammt von Dr. Uwe Büsching, Kinder- und Jugendarzt und Leiter der BLIKK-Studie (Bewältigung, Lernverhalten, Intelligenz, Kompetenz und Kommunikation) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Er empfiehlt folgende Medienzeiten:
- Absolut kein Bildschirm unter 3 Jahren,
- keine eigene Spielkonsole unter 6 Jahren,
- kein Internet und Handy/Smartphone unter 9
- kein unbeaufsichtigtes Internet vor 12 Jahren
Bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter ist es besonders wichtig, dass nur »kindersichere« Geräte verwendet werden.
Auch wenn du dein Smartphone oder Tablet mit einer Kindersicherung versehen hast, empfehle ich, internetfähige Geräte in diesem Alter absolut nur unter Aufsicht zu verwenden.
Im Kindersicher-Modus werden die Inhalte gefiltert. Es passiert aber immer wieder, dass für Kinder ungeeignete Videos am Filter vorbeikommen.
Wenn du dabei bist, siehst du auch, was deinem Kind gefällt und ihr könnt lustige Spiele, schlaue Apps oder spannende Videos gemeinsam entdecken.
Ab welchem Alter sollte mein Kind ein eigenes Handy haben?
Wenn du darüber nachdenkst, deinem Kind ein Handy zu besorgen, kommen dir die folgenden Gedanken wahrscheinlich bekannt vor:
»In der Klasse haben schon alle ein Handy.«
»Ist mein Kind schon alt genug für ein Handy? Wie alt ist alt genug? Wie früh ist zu früh?«
»Wozu brauchen 7-, 8- oder 9-Jährige ein Smartphone?«
Aber vielleicht auch: »Es wäre schon gut, wenn ich im Notfall anrufen könnte!«
Du bist nicht allein! Viele Eltern machen sich genau diese Gedanken und stehen vor der gleichen Entscheidung. Sätze wie diese, höre ich jede Woche in Gesprächen mit Eltern.
Tipps, die dir bei der Entscheidung helfen können, ob dein Kind ein eigenes Handy haben sollte:
Sicherheit ist bei euch ein Thema auf dem Schulweg, zu bestimmten Tageszeiten oder auf unbegleiteten Wegen?
Statt eines eigenen Smartphones kannst du ein »Schulweg-Handy« oder ein »Handy für unterwegs« Das kann jeder mal mitnehmen. Der bestimmte Zweck hilft dir bei der Regulierung: Das Gerät ist nur für unterwegs gedacht, zuhause kann es ausgeschaltet und an der Ladestation bleiben.
»Alle haben schon eines, ich bin der/die Einzige ohne Handy in der Klasse!«
Jetzt überlegst du, ob dein Kind etwas Wichtiges verpasst oder im Freundeskreis den Anschluss verliert?
Für bestimmte Dinge ein Handy zu verwenden, muss nicht gleich bedeuten, immer ein Gerät zur Verfügung zu haben oder ein eigenes Gerät zu besitzen. Grundschüler:innen brauchen noch kein eigenes Gerät.
Ab und zu das »Familienhandy« oder »Familientablet« zu verwenden, ist auch OK. Das kann auch ein älteres Gerät ohne Vertrag oder Wertkarte sein, das nur im WLAN funktioniert, oder auf dem nur heruntergeladene Spiele ohne Internetzugang gespielt werden können.
Wenn du »Familiengeräte« verwendest, ist die räumliche Regulierung einfacher. Eine Abmachung kann z. B. lauten: »Das Familientablet wird nur im Wohnzimmer verwendet. Wenn wir es nicht verwenden, liegt es dort an der Ladestation.«
»Du wirst noch kurzsichtig, wenn du so viel vor dem Bildschirm sitzt«
Was früher ein Verzweiflungsargument meiner Mutter war, wenn wir zu lange vor dem Fernseher saßen (»Ihr kriegt viereckige Augen!«) ist heute leider eine durch Studien belegte Realität: Durch lange Bildschirmzeiten mit Fokus auf sehr kurze Distanzen (Handys, Tablets) ist in den letzten Jahren die Zahl der kurzsichtigen Kinder stark gestiegen. Bei Kindern wächst der Augapfel von der Geburt bis zum 15. Lebensjahr.
Wird das Auge in dieser Zeit sehr häufig zu Einstellung auf sehr nahe Bildschirme gezwungen, kann es zu einer Fehlbildung und dadurch zu Kurzsichtigkeit kommen. Was dagegen hilft? Viel Zeit im Freien, da ist das Auge viel in Bewegung und fokussiert auf unterschiedliche Entfernungen.
Spätestens ab der Sekundarstufe hast du wahrscheinlich keine Chance mehr.
Dein Kind bekommt jetzt ein eigenes Gerät. Setzt euch zusammen, BEVOR dein Kind sein Handy bekommt, und macht euch genau aus, wie ihr zu Hause mit den Geräten umgehen wollt. Ein eigenes Gerät zu besitzen, muss nicht bedeuten, es rund um die Uhr zu nutzen. Unterstütze dein Kind, eine selbstbestimmte Nutzung zu lernen.
Macht euch Ruhezeiten aus, z. B. am Esstisch, auf der Straße (Sicherheit!), in der Schule, während der Lernzeit, am Abend ab einer gewissen Uhrzeit. Seht euch an, welche Benachrichtigungen und Töne aktiviert sein sollen.
Ein ganz wichtiger Schritt ist, selbst zu entscheiden, wann das Handy verwendet wird und nicht bei jedem Summen oder Blinken sofort hinzugreifen. Ihr bestimmt die Nutzung, nicht das Gerät. Mehr Tipps findest du in meiner Checkliste, der Link steht am Ende des Blogs.
Gewöhne dich daran, NEIN zu sagen.
Die Geräte, die ihr euch ins Haus holt, haben eines gemeinsam: Sie sind verdammt anziehend. Mach dir keine Illusionen, dein Kind kann die Handy- oder Bildschirmzeit nicht selbst regulieren. Junge Gehirne sind dazu nicht in der Lage.
Dazu kommt eine ganze Reihe technischer und psychologischer Mechanismen, die sie dazu bringen werden, immer weiterzuspielen, weiterzuschauen, weiterzudaddeln. Keine Chance!
Gratuliere, du bist jetzt die »Bildschirm-Polizei«! Da will ich dir auch nichts vormachen. Das wird anstrengend. Ihr werdet viel diskutieren. »Jetzt leg das doch mal weg« oder »Wir haben doch ausgemacht…«. Daran führt kein Weg vorbei.
Aber pass auf, dass du dich nicht nur auf die negativen Seiten konzentrierst. Versuche, einen positiven Zugang zu finden. Und mache die Geräte und Inhalte zuhause regelmäßig zum Thema. Wie das gehen kann, steht in den nächsten beiden Punkten.
Sieh auch die positiven Seiten.
Versuche, das Thema Smartphones und Tablets positiv zu besetzen, es hat auch Vorteile. Dein Kind wird viel lernen, Spaß haben und spannende Dinge entdecken. Sucht zum Beispiel nach Inhalten, die zu den Hobbys und Interessen deines Kindes passen.
Stelle zuhause eine Situation her, in der das Smartphone erlaubt ist. Mit zunehmendem Alter kann das Erlaubte erweitert werden. Wenn du etwas verbietest, erkläre warum und was hinter der Einschränkung steht.
Ein Smartphone ist nicht nur ein Spielzeug, und das Internet ist Großteils eine Welt für Erwachsene. Ein Smartphone zu besitzen und zu verwenden, bietet viele neue Möglichkeiten. Es bringt aber auch eine große Verantwortung mit sich.
Meine wichtigste Empfehlung: Sprecht darüber!
»Begleiten statt verbieten« ist ein guter Zugang. Sprich mit deinem Kind über digitale Medien und Inhalte. Es ist ein Teil eures Lebens, also interessiere dich dafür, was dein Kind am Smartphone tut. Lass dich auf ein paar neue Erfahrungen ein, bleib aufgeschlossen, probiert gemeinsam ein neues Spiel aus oder entdeckt eine neue App zusammen.
Hört gemeinsam Musik oder Podcasts, seht euch gemeinsam Videos an. Besprecht kritische Inhalte und ermuntere und verstärke positive und smarte Inhalte.
Je mehr du dich dafür interessierst, desto einfacher werden dir Gespräche und Entscheidungen darüber fallen.
Ein Beispiel findest du auch hier in Silkes Blog: Pokémon Go. Eine Elterninfo. Mein Versuch, in die Welt meiner Kinder einzutauchen.
Ratgeber und Checklisten zu Medienzeit und Smartphones für Kinder
Die letzten beiden Tipps sind aus meinem Ratgeber: »13 wichtige Themen, die in der Familie zum Thema Smartphones angesprochen werden sollten«, den du dir auf meiner Website kostenlos runterladen kannst.
Zum Thema »Erstes Smartphone für mein Kind« habe ich eine Checkliste zusammengestellt, die dich in 5 kurzen Schritten durch die wichtigsten Fragen rund um das Thema »Erstes Smartphone« und »smarte Geräte im Familienleben« führt.
Weiter zur Checkliste »Erstes Smartphone für mein Kind«
Du überlegst, deinem Kind statt eines Smartphones lieber erst eine Smartwatch zu besorgen? Hol dir meine »Checkliste für die Erste Smartwatch« und lies, was mir Pädagog:innen über Smartwatches in der Schule erzählt haben.
Weiterlesen in »Smartwatch für Kinder: Fluch oder Segen?«
Die Autorin
Andrea Buhl-Aigner ist Smartphone Coach und betreibt das Informationsangebot
Sie ist Spezialistin für digitale Medien, Unternehmensberaterin für Online-Marketing, unterrichtet an der FH Wien Journalismus & Medienmanagement und teilt ihr Praxiswissen aus 15 Jahren in Agenturen, Medienunternehmen und Non-profit-Organisationen in Webinaren, Vorträgen und Workshops.
Quellenverzeichnis
* Julia Ma, Universtität Toronto, (2017): Handheld screen time linked with speech delays in young children
** Jenny Radesky, Universität Michigan, (2022): Longitudinal Associations Between Use of Mobile Devices for Calming and Emotional Reactivity and Executive Functioning in Children Aged 3 to 5 Years
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Ich bin Silke Krämer.
Kinder- und Jugendcoach Professional, NLP Master und Coach, EMDR Traumatherapeutin und Gymnasiallehrerin
Ich helfe Familien, wenn es Schulstress gibt und daheim die Fetzen fliegen. Außerdem unterstützte ich Mütter und Väter dabei, sich den Herausforderungen des Familienlebens selbstbewusst zu stellen.
Als Trainerin für Reflexintegration helfe ich deinem Kind, damit ihm die Schule bei Konzentrationsschwächen, Lern- und motorischen Problemen leichter fällt.
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- Medienzeit für Kinder: den richtigen Umgang mit Handys lernen - […] Dieser Artikel ist im März 2023 als Gastblog bei Silke Krämer erschienen. […]
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Sehr schön und klar mit Vor- und Nachteilen beschrieben. Einige Situationen erkennt man schnell aus dem eigenen Alltag. Sehr gut.
Lieber Ali,
vielen Dank für die positive Rückmeldung, über die sich Andrea sicherlich sehr freuen wird.
Ich werde es weiter geben.
Herzliche Grüße,
Silke